Schafft das Ding doch einfach ab!

Ein Nachtrag zum Eiswettfest

Sie ist aus der Zeit gefallen und es gibt in der Summe keinen gesellschaftlichen Mehrwert durch das Eiswettfest. Zeit Sie zu überwinden, findet unser Autor Sebastian Schmugler.

Um es direkt vorab gesagt zu haben, ich mag Traditionen gerne, so auch die Bremer Eiswette. Ich finde es klasse, wenn der Deich sich mit Menschen füllt und in Reden durch bissige Satire auf die herrschende Politik eingedroschen wird. Keine Frage, der Schneider ist eine Bremensie und die Frage „of de Werser geiht oder steiht“ offenbart insbesondere in Zeiten des Klimawandels den einzigartigen Bremer Humor. Wenn der Schneider dann auch ohne gefrorene Weser mit dem Schiff trockenen Fußes auf die andere Seite kommt, offenbart sich auch noch die echte Schläue der Bremer*innen, die auf jede Spielart der Naturgewalten eine Antwort parat haben. Aber nicht jede Tradition und nicht alles an einer Tradition muss gut sein. Traditionen leben davon mit der Zeit zu gehen und sich der Gesellschaft anzupassen. Eine Tradition, die das nicht tut, geht unter und wird vergessen.

Auch die Bremer Eiswette hat einen Teil, der heute nicht mehr zeitgemäß ist, das Eiswettfest. Es findet traditionell am dritten Samstag im Januar statt und besteht aus einem Festessen mit 800 Gästen, alle ausschließlich Männer. Frauen haben höchstens als Kellnerinnen Zutritt. Männer, die sich von Frauen bedienen lassen. Es scheint wie aus der Zeit gefallen, in einem Jahr in dem 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert werden. Schon an diesem Punkt könnte man auf die Idee kommen, dass die Veranstaltung ein kleines Update ins 21. Jahrhundert brauchen könnte, aber es ist nicht das einzige Problem, das ich mit der Eiswettfeier habe.

„Gute Gesellschaft“ mit schwieriger Geschichte

Wenn man sich die Geschichte der Eiswette anschaut, so muss man einige kritische Anmerkungen machen. Schon die ursprünglichen „Eiswettgenossen“, die im Januar 1829 ihre erste Wette prüften, waren keine Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie gehörten allesamt dem Stand der Kaufleute an und damit zu den großen Profiteuren des monarchischen Systems. Sie waren wohl, das kann man aber nur mutmaßen, keine großen Fans einer demokratischen Gesellschaft mit gleichen und freien Wahlen. Jedenfalls bekämpften die Bremer Handelsleute erbittert die Demokratisierung, kein Wunder, wenn man sich die politische Macht dann mit jemandem teilen müsste und diese Machtteilhaber*innen eines Tages vielleicht auch einen gerechten Anteil am Wohlstand der Handelsherren einfordern würden.

Auch nach Einführung der Demokratie durch die Weimarer Republik änderte sich diese Haltung nicht. Zunehmend wurden auch prominente Gäste von Freikorps und vom Stahlhelm zum Bremer Eiswettfest eingeladen und nationalkonservative sowie monarchistische Redner heizten die anti-demokratischen Stimmung im Saal an. Nach der Machtergreifung des NS-Regimes bestand das Eiswettfest ohne große Veränderungen weiter. Statt Gegenwehr gegen die Vereinnahmung durch die NS-Propaganda zu leisten, stockten die „Eiswettgenossen“ die Teilnehmer kräftig auf und formten das Eiswettfest damit zu einer Großveranstaltung mit 500 Teilnehmern um. Eine anständige Aufarbeitung der anti-demokratischen Geschichte und der NS-Vergangenheit hat bis heute nicht stattgefunden.

Das reaktionäre Potential der Männer bei der Eiswette zeigte sich jüngst in der Aussage des Präsidenten der Eiswette, Patrick Wendisch, der die Teilnahme einer(!) Frau beim Eiswettfest in der Bild als „Gendergaga“ abtat.
Wer die gesellschaftliche Emanzipation von Frauen als „Gendergaga“ bezeichnet und ihnen die gleichberechtigte Teilnahme an gesellschaftlichen Ereignissen absprechen möchte, ist nicht konservativ, er ist reaktionär und kann auch nicht anders bezeichnet werden. Er lehnt damit das Grundprinzip der Demokratie, die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft und ihren Institutionen ab und muss anti-demokratisch genannt werden.

Das Argument der Unabhängigkeit

Manche Menschen erkennen zwar all diese Probleme an, geben dann aber zu bedenken, der Eiswettverein sei unabhängig und könne nun mal tun und lassen, was er will.
Dem ist aber mitnichten so! Zum einen subventionieren alle Steuerzahler*innen die Aktivitäten des Vereins, also auch das Eiswettfest, indem der Verein vom Staat als gemeinnützig anerkannt wird. Begründet wird das mit dem vorgeblichen Zweck, Spenden für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zu sammeln. Sicherlich eine wichtige Institution, jeder Euro, der für diese Organisation gesammelt wird, ist ein sinnvoll eingesetzter Euro! 450 000 € sind z.B. bei der Sammlung 2016 zusammengekommen. Das entspricht einem durchschnittlichen Erlös von rund 560 € je Teilnehmer. Würden man jedoch die Kosten, die für das ganze Tam-Tam des Eiswettenfestes aufgebracht werden, der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger direkt zukommen lassen, könnte sich die Organisation über einen zusätzlichen höheren Betrag freuen. Dazu kommt, dass durch die Gemeinnützigkeit des Vereins alle Steuerzahler*innen indirekt ebenfalls einen Teil der Spenden verantworten. Schließlich werden die Herren Gäste sich einen guten Teil ihrer Spende anschließend von der Steuer zurückholen.

Genau diese Gemeinnützigkeit könnte man sowieso mal mit einem Fragezeichen versehen. Um gemeinnützig zu sein, muss der Verein „selbstlos und unmittelbar“ mildtätige Zwecke verfolgen. Wenn man aber einen erheblichen finanziellen Aufwand betreibt (schließlich sind Räumlichkeit, Essen und Getränke nicht kostenlos zu haben), um im Ergebnis ein paar Euro für den guten Zweck zu sammeln, dann kann man schonmal fragen, ob das noch unmittelbar ist. Und wenn der eigentliche Zweck dann auch noch ist, sich in einer Männerrunde zum Klönen und Klüngeln zu treffen und ordentlich Netzwerke zwischen Geschäftspartnern zu spannen, dann muss man wohl auch an der Selbstlosigkeit zweifeln.
Aber was wäre die Alternative, etwa keine Spenden sammeln? Die Seenotretter*innen würden sich sicher bedanken. Aber vielleicht wäre es auch ein Ansatz, die wirklich Gutbetuchten in unserer Gesellschaft über ein faires Steuersystem etwas mehr zur Kasse zu bitten und gesellschaftlichen Aufgaben wie die Seenotrettung so zu finanzieren.

Aber auch jenseits der zweifelhaften Gemeinnützigkeit, gibt es einige Verknüpfungen mit Politik und Gesellschaft. Zum festen Protokoll gehören u.a. die Anwesenheit des Bürgermeisters und auch zahlreiche weitere Politiker sind Gäste des Eiswettfestes. In diesem Jahr waren unter anderem die Senatoren Loose und Günthner anwesend, aber auch der oberste schwarz-weiß Bourgeois Christian Lindner himself hat sich die zweifelhafte Ehre gegeben. Der Bremer CDU-Fraktionsvorsitzende ist sogar Notarius der Eiswette und bekleidet damit ein hohes Amt innerhalb des Vereines. Ebenfalls gekommen war der CDU-Bürgermeisterkandidat Meyer-Heder. Er ließ es sich auch nicht nehmen nochmal zu betonen, dass er es durchaus in Ordnung finde, dass keine Frau teilnehmen darf.
Abgesagt aus Protest gegen den Ausschluss der Finanzsenatorin hat nur der Bremer SPD-Innensenator Ulrich Mäurer. Bürgermeister Carsten Sieling hat bereits angekündigt, an weiteren Eiswettfesten nicht mehr teilnehmen zu wollen, bis Frauen auch eingeladen werden.

Veränderung oder Abschaffung?

Sicherlich scheinen viele der Mängel heilbar zu sein. Man könnte ja Frauen einfach zu lassen, die Geschichte angemessen aufarbeiten und die reaktionär-konservativen Köpfe rausschmeißen. Von den „Eiswettgenossen“ selber ist dabei aber wenig zu erwarten, mit einer Mischung aus Trotz und einer Modernitätsverweigerung à la „das-haben-wir-ja-schon-immer-so-gemacht“ beharren sie auf ihrem althergebrachten Ritual. Gut behütet wird dieser Zustand vom Selbstergänzungsgrundsatz. Das bedeutet, dass die „Eiswettgenossen“ im Falle des Freiwerdens eines Platzes gemeinschaftlich ein neues Mitglied bestimmen. Dadurch kann sich das Altbackene und das Reaktionäre nahezu ungehindert reproduzieren.

Vor dem Eingang des diesjährigen Eiswettfestes demonstrierten zahlreiche Menschen. Viele Frauen unter den Demonstrierenden skandierten „Wir wollen rein!“. Diese Forderung kann man sich zu eigen machen, muss man aber nicht. Nur weil am Ende des Tages ein paar Frauen mit am Tisch sitzen, ändert das nichts daran, dass dort weiter die besitzende Klasse zusammen hockt und klönt. Ein Eiswettfest mit weiblichen Gästen und Eiswettgenossinnen wäre vor allem ein Symbol. Das Eiswettfest wäre weniger schlecht, aber gut wird es mit seiner Geschichte und seiner Idee nicht mehr. Vielleicht ist bei manchen Traditionen eine Reform nicht möglich oder schlicht sinnlos ist und dann kann man nur noch zum Ergebnis kommen, dass diese Traditionen überwunden werden müssen – beim Bremer Eiswettfest ist genau das der Fall.

Zum Hintergrund:
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/eiswette-bremen-ohne-frauen-protest-100.html

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