Wie umgehen mit Antisemitismus?

Zwei Bücher – Eine Rezension
Gegen den Judenhass // Desintegriert euch!

von Mirko Kruse

So unterschiedlich die beiden Autoren – Schriftsteller der eine, Stand-Up-Comedian der andere – so unterschiedlich sind auch die beiden Bücher. Und doch haben sie eins gemeinsam: Sie sind beide eine Antwort auf den herrschenden Antisemitismus (nicht nur aber auch) in Deutschland.

Die beiden (jüdischen) Autoren wählen dabei ganz unterschiedliche Ansätze für ihre Bücher, um auf bestehenden Antisemitismus hinzuweisen und zur Reflektion anzuregen. So ist bei Oliver Polak die erste Hälfte des Buches ausschließlich Fragen zu Judentum, Juden in Deutschland und dem eigenen Verhältnis zu ihnen gewidmet. Allerdings zumeist mit einer Prise Humor. Beispiel: „Wem kann man am ehesten vertrauen? a) Juden, b) ISIS, c) Katzen. Antwort: Du kannst niemandem vertrauen!“ Oder „Wie viele Länder gibt es auf der Welt?“ – „Es gibt über 194 Länder auf der Welt“ – „Warum denkst du über Israel nach?“.

Und wenn noch jemand sagen wollte „Ach, völlig überschätztes Problem“ – nach der Lektüre des Buches wird so ein Satz nicht mehr fallen.

Über Sätze und Gedanken, die den meisten bekannt sein könnten, gelingt dem Autor ein leichtfüßiger Einstieg in ein schwieriges Thema. Ähnlich flüssig ist auch der weitere Text verfasst, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das, was berichtet wird, alles andere als leicht verdaulich ist. In kurzen Episoden berichtet Oliver Polak bemüht objektiv von Erlebnissen, die ihn als jüdischen Comedian mit Antisemitismus in Kontakt gebracht haben. Und wenn noch jemand sagen wollte „Ach, völlig überschätztes Problem“ – nach der Lektüre des Buches wird so ein Satz nicht mehr fallen. Die Vielzahl von Beispielen und auch gerade ihre Unterschiedlichkeit (im Beruf, im Taxi, unterwegs, von Deutschen, von Migrant*innen, von Promis und von Bekannten) sind erschreckend.

Die Erinnerungskultur in Deutschland macht Juden zu Objekten, die medial zu bekunden müssen, wie gut die Deutschen ihre Vergangenheit aufgearbeitet hätten.

Einen anderen, deutlich theorielastigeren, Ansatz wählt Max Czollek. Zwar gibt es auch hier autobiografische Erlebnisse mit Antisemitismus, das Buch ist aber eher eine Generalabrechnung mit der mehrheitsdeutschen Gesellschaft. So wird beklagt, dass die Erinnerungskultur in Deutschland Juden zu Objekten mache, die in Regelmäßigkeit dafür herhalten müssen, medial zu bekunden, wie gut die Deutschen ihre Vergangenheit aufgearbeitet hätten. Wenn es medial um jüdische Menschen geht, dann in der Regel nur in Verbindung mit Israel(-kritik) oder dem Holocaust. Dass es jüdisches Leben abseits davon gibt, kommt in der Debatte kaum vor, denn das würde dem Zweck Erinnerungskultur nicht mehr entsprechen. Problematischerweise geht damit auch eine Geschitsklittung einher, die den Deutschen von heute ermöglicht, sich als moralische Sieger des 2. Weltkriegs zu fühlen. Indem man sich permanent mit „den Juden“ solidarisiert, stellt man sich (bewusst oder unbewusst) auf seiten der Opfer und lenkt hierdurch davon ab, dass Deutsche bis zur bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 in der überbordenden Mehrzahl Täter*innen waren.

Auch die Idee einer deutschen Leitkultur und notwendiger Integration in diese wird im Buch grundlegend kritisiert. So impliziert der Gedanke dahinter, dass es eine Kultur gäbe, die so überlegen sei, dass andere sich dieser anpassen müssten. Dieser „kulturelle Nationalismus“, bei dem eine Gruppe der Bevölkerung sich anmaßt zu entscheiden, wer dazugehört und wer nicht, trifft dabei aktuell seltener jüdische Menschen, dafür in besonderem Maße Muslime. Hier macht der Autor aber keinen Unterschied, indem er feststellt, dass die gleichen Mechanismen, die heute zur Ausgrenzung muslimischer Menschen dienen, im nächsten Schritt auch alle anderen deviaten Gruppen treffen können und in der Konsequenz auch wieder Juden – so wie bereits seit dem Mittelalter in trauriger Regelmäßigkeit zu beobachten.

Welcher von beiden Interpretationen eher zuzuneigen ist, sei der Einschätzung und Überlegung der Leser*innen überlassen, beide Bücher liefern in jedem Fall eine wertvolle Grundlage für diese Diskussion.

Letztlich unterscheidet sich auch die Schlussfolgerung, die beide Bücher aus dem Status Quo ziehen, grundlegend: So fordert Oliver Polak dazu auf, mehr miteinander zu reden, Vorurteile abzubauen und allgemein netter miteinander umzugehen: „Das Ende vom Menschenhass beginnt mit dir.“ Max Czollek hingegen fordert dazu auf, sich der Idee einer Integration in diese Gesellschaft (mit all den vorher ausgearbeiteten Problemen) prinzipiell zu widersetzen und sich stattdessen zu „desintegrieren“. Orientierungspunkt ist hierbei eine Gesellschaft der „radikalen Vielfalt“. Welcher von beiden Interpretationen eher zuzuneigen ist, sei der Einschätzung und Überlegung der Leser*innen überlassen, beide Bücher liefern in jedem Fall eine wertvolle Grundlage für diese Diskussion.

Desintegriert euch!
von Max Czollek

208 Seiten, Hanser 2018
18,00€

Gibt’s hier oder im Buchladen um die Ecke: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/desintegriert-euch/978-3-446-26027-6/

Gegen Judenhass
von Oliver Polak

127 Seiten, Suhrkamp 2018
8,00 €

Gibt’s hier oder im Buchladen um die Ecke: https://www.suhrkamp.de/buecher/gegen_judenhass-oliver_polak_46984.html

Wir bedanken uns bei Mirko Kruse, er hat für euch die beiden Bücher gelesen und rezensiert.

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