Warum Gaming nicht das Problem ist, aber ein Problem hat!

von Hilke Lüschen

Nachdem ein rechtsextremer Terrorist in Halle zwei Menschen erschoss, weitere verletzte und diese Tat bei Twitch streamte, will unser Bundesinnenminister die Gaming-Szene stärker in den Blick nehmen. Man könnte nun denken, dass unser Bundesinnenminister lieber eine zum übergroßen Teil friedliche und freundliche, aber junge und ihn nicht wählende Gruppe in den Blick nehmen möchte, als sich wirklich mit Rechtsterrorismus auseinander zu setzen. Wenn er das nämlich tun würde, müsste er sich eingestehen, dass seine eigene Geschichte nicht viel Anlass zu Ruhm gibt und er häufig und gerne auf dem rechten Auge blind ist [1]. Ein Schelm also, wer denkt, dass Seehofer den Blick auf Gaming richtet, um Rechtsextreme auf den Straßen und in den Parlamenten weiter ignorieren zu können.

Eine meiner liebsten Youtube-Bloggerinnen, Anita Sarkeesian, kritisiert in ihren Videos das Frauenbild, das man häufig bei Games vorfindet. Sie beginnt ihre Analysen mit dem Satz: „Remember that it is both possible and even necessary to be critical of a media you enjoy.“ (dt: Denkt dran, dass es sowohl möglich als auch notwendig ist, die Medien zu kritisieren, die wir gerne mögen.) [2]. In diesem Sinne ist es vielleicht auch möglich und sogar notwendig, einen Blick auf Videospiele und die Gamingkultur zu werfen, denn man kann nicht ignorieren, dass sie ein Problem hat – zuerst mal ein Antifeministisches.

Wir erinnern uns an das Jahr 2014, Russland hat gerade die Krim besetzt, Ebola fordert viele Opfer und Deutschland gewinnt die WM in Brasilien. Zu all diesen Tragödien gesellt sich eine weitere: die #gamergate-Bewegung. Vordergründig strebte die Bewegung nach mehr Transparenz im Game-Journalismus, doch im Kern ging es darum, dass Frauen* in der Videospielbranche nichts zu suchen haben sollten [3]. Der nur vorgeschobene Anlass war deswegen schnell vergessen. Auch damals spielten schon Imageboards eine Rolle, 2014 war das noch 4chan. Frauen*, die sich öffentlich über Videospiele äußerten, es sogar wagten, einiges zu kritisieren oder selbst Games zu entwickeln, wurden beschimpft, geschmäht und bedroht. Auch hier kam es schon zum doxxing, bei dem die Privatadresse von Frauen* öffentlich gemacht wurde. Das hat dazu geführt, dass einige Frauen* wie Anita Sarkeesian ihr Zuhause verlassen mussten.[4]

In dieser Bewegung schwingen viele Frauen*feindliche Erzählmuster mit. Es geht darum, dass Frauen* Männern den Geschlechtsverkehr schuldig seien, und wenn Männer keinen haben, dann sei das also Schuld der Frauen*. Es geht aber auch darum, dass Frauen* mit ihren magischen Genitalien Männer manipulieren würden und so die eigentliche Macht in der Gesellschaft ausüben würden. In diesem Bild sind Frauen* das Eigentum von weißen Männern, die sie gegen Einflüsse von außen beschützen müssten. Und hier kommen auch rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien ins Spiel, denn der Feminismus, der weiße Männer klein halte, schwäche die nationale Wehrbarkeit und öffne Tür und Tor für einen „großen Austausch“ durch Muslime. Es ist nicht zu übersehen, dass Rassismus in antifeministischen Kontexten wie der Incel-Bewegung [5] eine große Rolle spielt [6] und Antifeminismus in rassistischen Kontexten [7]. So gibt es auch einen fließenden Übergang zwischen der Gamergate-Bewegung und der Alt-Right. Bei Gamergate groß geworden ist der rassistische Blogger Milo Yiannopoulos, der seine Größe dann für die Alt-Right richtig ausnutzen konnte [8].

Auch in Deutschland gibt es den Versuch, rechtsextremes Gedankengut auf die Gamingszene zugeschnitten zu verkaufen, etwa im Netzwerk Reconquista Germanica [9]. Indem man auf die Community eingeht, ihre Sprache verwendet und in ihre Räume eindringt, lässt sich eine Gruppe gezielt ansprechen und auch auf anderen Seiten und Foren werden Nationalsozialismus verharmlost und rechte Terroristen gefeiert. Das Ganze passiert unter einer Art Videospielfilter: Highscores werden vergeben, Achievements verteilt. Die Medien sprechen von einer „gamification des Terrors“ [10].

Was bedeutet das alles für Gamingkultur und Gamer*innen im Allgemeinen? Das ist sicher schwer zu sagen, deswegen ist es vielleicht einfacher zu sagen, was es nicht bedeutet: Am PC zu ballern führt nicht dazu, dass auch „irl“ geballert wird. Es gibt da keine Ursache-Wirkung-Verbindung [11]. Wie jede andere Art von Medien und Kunst gibt es aber eine Verbindung von Videospielen und der Gesellschaft, sie existieren nicht in einem Vakuum. Diese Verbindung geht in beide Richtungen und lässt sich nicht auf dumpfe Parolen und Schuldzuweisungen runterbrechen. Videospiele sind nicht böse.

Trotzdem kann man die Gamingszene wohl auch nicht von jedem Vorwurf freisprechen. Weiße Männer waren über lange Zeit die einzige Zielgruppe von Videospielen. Frauen* und nicht-weiße Menschen werden häufig als Beiwerk gezeigt, exotisch oder sexy. Spielt man so manche Story durch (es gibt einige großartige Ausnahmen), wimmelt sie von männlichen Fantasien, von Frauen* in kurzen Klamotten und stereotypen Darstellungen von People of Colour. Bei den allermeisten Spielen basiert die hauptsächliche Interaktionsform mit der Umgebung auf Kampf [12]. Das liegt auch daran, dass in der Branche hauptsächlich weiße Männer in Führungspositionen Produkte für andere weiße Männer herstellen [13], was aber andere demographische Gruppen nicht davon abgehalten hat, ebenfalls zu spielen [14]. Dieser Trend kann dazu führen (und tut es ganz sicher in den meisten Fällen nicht), dass Männer sich fühlen, als würde ihnen ihre letzte Bastion weggenommen. In dieser Erzählung verliert der Nerd sein Alleinstellungsmerkmal, wenn dann tatsächlich eintritt, wovon er immer geträumt hat: dass sein Hobby populär und allseits anerkannt wird.

Antifeministische und rechtsextreme Gedanken stoßen vor diesem Hintergrund in (kleinen) Teilen der Szene auf fruchtbaren Boden. In Foren lassen sich Verschwörungstheorien fein eingekuschelt in eine flauschige, kleine Bubble in Ruhe austauschen. Wo die Diskurshoheit in einem Forum nicht angezweifelt wird, findet man schnell Gleichgesinnte, die einen im eigenen Rechtsextremismus noch verstärken. Und im Internet kann man sich verdammt gut abkapseln.

Doch all das ist weder alleinige Erklärung noch Rechtfertigung für Gewalt, Frauenfeindlichkeit und Rassismus. Es fehlt noch eine wichtige Komponente: Das gesellschaftliche Umfeld, dass diesen Haltungen nicht entschieden widerspricht oder sie auch noch bestätigt. Ein Umfeld, das Vergewaltigung in der Ehe lieber nicht strafbar gemacht hätte [15], das die Frage, ob man Menschen, die ihre Heimat durch Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit verloren haben, eine neue Heimat gibt, als die „Mutter aller Probleme“ bezeichnet [16] und das als guter Deutscher im Keller nicht am PC sondern an der Modelleisenbahn spielt [17]. Ihr habt es geahnt: Wir sind wieder bei Horst Seehofer.

Hilke ist stellvertretende Landesvorsitzende der Jusos Bremen. Wenn sie nicht gerade das Patriarchat bekämpft oder am zocken ist, geht sie gerne mit ihrem Hund Emma spazieren.

[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-und-die-fluechtlingskrise-mutter-aller-probleme-kommentar-a-1226888.html; https://www.wr.de/politik/fall-hans-georg-maassen-so-kam-es-zur-regierungskrise-2018-id216109219.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=QC6oxBLXtkU;
[3] https://www.vice.com/en_us/article/533v45/theres-nothing-wrong-with-a-video-game-about-female-masturbation;https://gawker.com/what-is-gamergate-and-why-an-explainer-for-non-geeks-1642909080;
[4] https://www.theverge.com/2014/8/27/6075179/anita-sarkeesian-says-she-was-driven-out-of-house-by-threats;
[5] https://www.urbandictionary.com/define.php?term=incel;
[6] https://www.thestar.com/opinion/star-columnists/2018/05/01/the-foundational-misogyny-of-incels-overlaps-with-racism.html;https://www.belltower.news/incel-der-toedliche-wahn-der-frauenhasser-47732/;
[7] https://taz.de/!5115004/;
[8] https://www.theguardian.com/technology/2016/dec/01/gamergate-alt-right-hate-trump;
[9] https://netzpolitik.org/2018/getarnt-als-gamer-einblicke-in-eine-rechtsradikale-troll-armee/; https://www.youtube.com/watch?v=zvKjfWSPI7s;
[10] https://taz.de/Gamification-und-der-Anschlag-von-Halle/!5632766/; https://www.belltower.news/antisemitische-tat-in-halle-die-gamification-des-terrors-wenn-hass-zu-einem-spiel-verkommt-91927/; https://www.tagesschau.de/inland/gamifizierung-101.html;
[11]https://div46amplifier.com/2017/06/12/news-media-public-education-and-public-policy-committee/; https://edition.cnn.com/2019/08/05/health/video-games-violence-explainer/index.html;https://www.nytimes.com/2019/08/05/sports/trump-violent-video-games-studies.html;
[12] https://www.gamesindustry.biz/articles/2019-06-13-only-21-percent-of-e3-games-are-non-violent;
[13] https://techjury.net/stats-about/video-games-industry/;
[14] https://www.pewresearch.org/fact-tank/2017/09/11/younger-men-play-video-games-but-so-do-a-diverse-group-of-other-americans/;
[15] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1081635.frauenrechte-feministischer-hausbesuch-bei-seehofer.html;
[16] https://www.sueddeutsche.de/politik/horst-seehofer-chemnitz-1.4118883;
[17] https://www.morgenpost.de/kultur/tv/article207549565/Wie-Horst-Seehofer-stolz-seine-Modelleisenbahn-praesentiert.html;

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert