Polizeiarbeit bürgernäher und transparenter machen

Dieser Antrag wurde auf der Mitgliederversammlung der Jusos Bremen-Stadt vom 26. September 2019 beschlossen.

Beschlusstext

Der SPD Unterbezirksparteitag möge beschließen:
Der SPD Landesparteitag möge beschließen:
Die Juso Landesmitgliederversammlung möge beschließen:

1. Vorwort 

Das Thema innere Sicherheit und Polizei hat einen schweren Stand in linken Diskursen, so liegt der Fokus doch häufig auf dem Fehlverhalten staatlicher Akteur*innen und weniger auf der aktiven Gestaltung einer eigenen stringenten Innenpolitik. Häufig läuft man deswegen Gefahr, das Thema rechtsradikalen oder konservativen Kräften zu überlassen, deren Vorstellungen sich in einer “Law and Order”-Politik erschöpfen, die Feindbilder aufbaut, Minderheiten mit Repressalien bedroht und Freiheiten beschneidet – alles im Dienste einer vermeintlichen öffentlichen Sicherheit.

Eine sozialdemokratische bzw. sozialistische Innenpolitik muss dagegen zum Ziel haben, allen Menschen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen und darf kein Mittel der Repression gegen Subkulturen, ethnischen Minderheiten oder anderen Gruppen sein. Als Partei, die den demokratischen Sozialismus immer noch im Grundsatzprogramm verankert hat, muss oberste Maxime der Innenpolitik eine freie, solidarische und offene Gesellschaft sein.

Viel zu oft sehen wir jedoch, dass die SPD diesem Anspruch nicht gerecht wird und im besten Fall zu wenig tut, um diese Ziele zu verwirklichen. Im schlechtesten Fall arbeitet sie gegen diese Ziele an und verwechselt Sicherheit mit Repression und Einschränkung der Freiheit. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir mit diesem Antrag die Grundsätze sozialdemokratischer Innenpolitik im Bereich der Polizeiarbeit festhalten und dabei konkrete Maßnahmen aufzeigen.

2. Polizeiarbeit in Bremen

Wenn Menschen mit der Staatsgewalt in Kontakt kommen, geschieht dies fast immer in Form der Polizei. Umso wichtiger ist es deshalb, ein besonderes Augenmerk auf die Strukturen innerhalb der Polizei zu legen und wie sie die einzelnen Polizist*innen beeinflussen. Niemandem ist geholfen, wenn wir Vorfälle von Rassismus, Polizeigewalt oder Rechtsradikalismus als individuelles Fehlverhalten abtun, denn so ignorieren wir die Strukturen, die so ein Verhalten begünstigen und sogar fördern. Nötig ist es Strukturen zu schaffen, die Fehlverhalten aufdecken und effektiv sanktionieren.

Für eine moderne Ausbildung von Polizeikräften

Im Einsatz sind Polizist*innen häufig Stresssituationen ausgesetzt, woraus sich verständlicherweise ein enges Verhältnis zu Kolleg*innen ergibt. Dies wird jedoch problematisch, wenn sich Polizist*innen bei begangenen Straftaten gegenseitig decken oder Fehlverhalten vertuscht wird, um sich nicht gegenseitig zu schaden. Dabei brauchen wir gerade bei der Polizei eine offene Fehlerkultur, die solches Verhalten nicht zulässt und es vorbeugt, wofür wir bereits in der Ausbildung ansetzen müssen. Deshalb fordern wir im Bereich der Ausbildung:

  • Vermittlung von Kompetenzen bei sozialen und gesellschaftlichen Fragestellungen, verbunden mit einer intensiven Reflektion der eigenen Rolle als Polizist*in.
  • Schwerpunkt auf Deeskalation und gewaltfreie Strategien zur Konfliktlösung und deren Vorteile gegenüber Maßnahmen, die die Anwendung von Gewalt beinhalten.
  • Stärkere Beschäftigung mit der Bedeutung der Rechte von Bürger*innen und Journalist*innen für unsere demokratische Gesellschaft.
  • Stärkere Sensibilisierung für das Thema Rassismus und Stärkung interkultureller Kompetenzen.
  • Zusammenarbeit mit Kulturvereinen, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Institutionen der politischen Bildungsarbeit.
  • Keine Sparversion der Polizeiausbildung, wie z.B. beim Objektschutz.

Nach der Ausbildung sollten jährliche mehrtägige Schulungen sicherstellen, dass das Wissen aus der Ausbildung aufgefrischt und ausgebaut wird.

Racial profiling verhindern 

Menschen mit Merkmalen, die auf einen Migrationshintergrund hindeuten, sind aufgrund dessen öfter Ziel polizeilicher Maßnahmen. Hierbei handelt es sich nicht um ein Vorgehen, das auf Verdachtsmomenten beruht, sondern um eine als Racial Profiling bezeichnete Diskriminierung aufgrund ihres Aussehens/Nationalität oder Religion. 

Dieser Generalverdacht gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gleicht einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Bei stärkeren Kontrolle einer Gruppe steigt auch die Wahrscheinlichkeit Straftaten festzustellen, rassistische Vorurteile finden so ihre vermeintliche Bestätigung. Da Kontrollen oft im öffentlichen Raum stattfinden, führt Racial Profiling auch zu einem Anstieg rassistischen Denkens in der Bevölkerung. Wird doch davon ausgegangen, dass die Kontrollierten kriminell sein müssen. 

Zwar handelt es sich bei Racial profiling um eine nicht mit dem Grundgesetz vereinbare Maßnahme, im Vorgehen der Polizei ist sie aber oft gängige Praxis. Deswegen fordern wir:

  • Die Polizei im Land Bremen muss zu Beginn von Personenkontrollen und Identitätsfeststellungen Bescheinigungen an die betreffende Person auszustellen, in denen die Gründe der Kontrolle aufgelistet werden. Auf deren Basis soll es möglich sein, bei einer unabhängigen Stelle Beschwerde gegen die Kontrolle einzulegen. Über dieses Recht ist umfassend und aufsuchend aufzuklären.
  • Umfassende unabhängige Studien zu Racial Profiling und Entwicklung von Gegenmaßnahmen.

Strengere Regelungen für Kontrollorte

Mit dem Thema eng verbunden ist die Frage von besonderen Kontrollorten, deren Einrichtung einen erheblichen Eingriff in die Bürger*innenrechte darstellt und deswegen strengeren Regelungen bedarf. Deswegen fordern wir:

  • Die Festlegung von besonderen Kontrollorte darf nur noch durch richterliche Anordnung erfolgen. Bei welcher die Erfüllung der in § 11 Absatz 1, Nr. 2 Bremisches Polizeigesetz festgelegten Kriterien geprüft werden soll.
  • Die SPD-Fraktion soll sich für eine Konkretisierung und Verschärfung der unter § 11 Absatz 1, Nr. 2 Bremisches Polizeigesetz genannten Kriterien besonders in Bezug auf Dauer und Zielgruppen einsetzen. Eine dauerhafte Einrichtung von Orten als besonderen Kontrollorte muss dabei verhindert werden.
  • Anlasslose Kontrollen oder solche die sich nur durch die Anwesenheit an diesen Orten begründen müssen unterbunden werden.
  • Die Maßnahmen, die innerhalb einem dieser Kontrollorte durchgeführt werden, sollen von der geplanten Beschwerdestelle auf Auffälligkeiten wie z.B. Racial profiling untersucht werden. Die Ergebnisse müssen öffentlich zugänglich sein.
  • Die Polizei und der Senat müssen nach Einrichtung eines solchen Ortes die Bürger*innen vor Ort über diesen informieren und die Entscheidung transparent darstellen.

Keine Aufrüstung der Polizei

Die in den letzten Jahren stetig voranschreitende Aufrüstung der Polizei lehnen wir entschieden ab. Um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken, sind Maschinenpistolen und Sturmgewehre mehr als hinderlich. Stattdessen fordern wir:

  • Keine Ausrüstung mit “Tasern”, die insbesondere für Menschen mit Herzproblemen gefährlich sind und gleichzeitig eine geringere Schwelle besitzen auch eingesetzt zu werden.
  • Kontaktpolizist*innen sollen Ihren Dienst ohne Schusswaffe leisten.
  • Bei Demonstrationen sollen Polizist*innen keine Schusswaffen mehr tragen, sofern es nicht eine konkrete Bedrohungslage gibt, die Schusswaffen nötig macht.
  • Verbot, die Dienstwaffen außerhalb der Dienstzeiten zu tragen.

3. Polizeigewalt verhindern und effektiv sanktionieren

Als Vertreterin der Staatsmacht hat die Polizei das Recht körperlichen Zwang anzuwenden, dies jedoch immer unter strengen rechtlichen Auflagen. Unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gegenüber Bürger*innen ist jedoch – gerade auf Demonstrationen wie z.B. beim G20 – keine Seltenheit in Deutschland. Wenn wir eine Polizei wollen, die die Freiheit und Sicherheit der Menschen schützt, sollten wir solches Verhalten nicht entschuldigen und kleinreden, sondern effektive Sanktionsmöglichkeiten und Maßnahmen zur Vorbeugung von Polizeigewalt schaffen. Dazu gehört es auch, dass die sich in Verantwortung befindlichen SPD-Politiker*innen Vorfälle verurteilen und personelle Konsequenzen innerhalb der Polizei und Politik ziehen und durchsetzen.

Bodycams als fester Teil der Polizeiausrüstung

Oftmals stehen bei Vorfällen von Polizeigewalt die Aussage des Opfers gegen die Aussage des*der Polizist*in und der genaue Tathergang lässt sich nicht genau nachvollziehen. Deswegen fordern wir:

  • Die Einführung von ständig eingeschalteten Bodycams, um für Transparenz und Aufklärung zu sorgen. 
  • Externe Speicherung der Aufnahmen, um Missbrauch und Manipulation zu verhindern.

Aussetzung von Beförderungen bei Ermittlungen

Wenn Ermittlungen eingeleitet werden, sollte der Tatverdacht erst einmal geklärt werden, bevor über Beförderungen oder ähnliches geredet wird. So wird deutlich, dass Anschuldigungen ernst genommen werden und Täter*innen nicht auch noch belohnt werden.

Eine Aussetzung von Beförderungen von Polizeibeamt*innen, gegen die ermittelt wird, ist deswegen dringend geboten.

Unabhängige Beschwerdestelle für ungesetzliches Handeln der Polizei einführen!

Grundsätzlich muss es allen Bürger*innen möglich sein, sich über Maßnahmen der Polizei zu beschweren, ohne im Gegenzug Konsequenzen fürchten zu müssen. Eine gründliche Aufarbeitung von polizeilichen Fehlverhalten ist dabei nicht nur im Interesse des Opfers, sondern auch der Polizei im Allgemeinen. Gegenwärtig können die Ermittlungsverfahren dies nicht garantieren, da die zuständigen Staatsanwaltschaften zu stark mit den Polizeistellen verbunden sind. Staatsanwält*innen sind auf die Zuarbeit der Dienststellen angewiesen und Kolleg*innen ermitteln nur ungern gegen Kolleg*innen oder sagen gegen diese aus. Damit Straftaten im Dienst trotzdem nicht ohne Konsequenzen bleiben, ist ein unabhängiges Ermittlungsverfahren dringend erforderlich. Deswegen fordern wir:

  • Die Gründung einer unabhängigen Ermittlungsstelle, die – wie im Koalitionsvertrag gefordert – bei der Bürgerschaft angesiedelt ist und über eine angemessene Ausstattung von Ausrüstung und Personal verfügt. 
  • Diese Stelle muss unabhängig gegenüber der Polizei und Staatsanwaltschaft agieren können. Dafür braucht sie klare Befugnisse, wie ein Recht auf Akteneinsicht, Befragungen und unangemeldete Inspektionen. 
  • Daten von Opfern sollen dabei vertraulich und anonymisiert behandelt werden. 
  • Ermittlungsstelle und Polizei müssen regelmäßig einen (Rechenschafts-)Bericht über Polizeigewalt anfertigen. So entsteht ein ungefähres Bild über das Ausmaß und den Umfang der Problematik im Land Bremen.
  • Eine starke Öffentlichkeitsarbeit der Beschwerdestelle, um die Einrichtung bei den Menschen im Land Bremen bekannt zu machen.

Stärkerer Opferschutz – Ermittlungen nicht der Staatsanwaltschaft überlassen

Bei Ermittlungen ist zu beobachten, dass diese schnell eingestellt werden, während die Opfer von Polizeigewalt häufig mit Gegenanzeigen rechnen müssen, um sie einzuschüchtern. Deswegen fordern wir:

  • Die Möglichkeit anonymisierter Anzeigen, auch um Polizist*innen das Anzeigen von Kolleg*innen zu ermöglichen.
  • Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen können nicht mehr von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden, diese Entscheidung soll bei einem*einer Ermittlungsrichter*in liegen.

Versammlungsfreiheit schützen

Zur Ausübung der Meinungsfreiheit muss es den Menschen offenstehen Demonstrationen zu besuchen und zu organisieren. Bei großen Menschenmengen ist die Anwesenheit der Polizei zumeist nicht vermeidbar, jedoch kommt es vor allem bei linken Demonstrationen dazu, dass die Polizei das Recht auf Versammlungsfreiheit mit unverhältnismäßigen Maßnahmen eingeschränkt. Wir fordern deshalb:

  • Sofortige richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen, wie dem sog. Polizeikessel.
  • Verbot des Einsatz von chemischen Reizstoffen bei Demonstrationen, sind diese doch häufig Kollektivstrafen gegen alle Teilnehmer*innen der Demonstration.
  • Entkriminalisierung von Sitzblockaden.
  • Intensiver Fokus auf deeskalative Maßnahmen.
  • Offenlegung der polizeilichen Gefahrenanalyse von Versammlungen nach ihrer Durchführung.

Beschluss als PDF

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