Das Thema “Schule” ist schon außerhalb einer Pandemie ein ewiger Streitpunkt und von Einigkeit kann man hier nur selten sprechen. Durch Corona hat es nun erneut Brisanz erhalten. Wir halten es deswegen für notwendig, uns zu positionieren.
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Die wissenschaftliche Datenlage lässt nach wie vor keine eindeutigen Schlüsse zu, welche Rolle Schulen im Infektionsgeschehen spielen. Eine pauschale Bezeichnung als Infektionstreiber halten wir deshalb für nicht angemessen. Trotzdem machen sich viele Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte berechtigte Sorgen. Neben den Gesundheitsgefahren sind viele insbesondere wegen der unklaren Situation und den nicht planbaren weiteren Verläufen verunsichert. Deshalb war es richtig, die Anwesenheitspflicht auszusetzen. Perspektivisch muss allerdings (sofern es das Infektionsgeschehen zulässt) zügig wieder geregelter Präsenzunterricht stattfinden. Dafür braucht es gute Konzepte, die Infektionsschutz, das Recht auf Bildung und die Entwicklung der Kinder berücksichtigen.
Wir lehnen die pauschale Schließung aller Schulen ab!
Die Ereignisse im Frühjahr 2020 haben gezeigt, dass Schulschließungen Bildungsungerechtigkeit stark verstärken – auch im Halbgruppenunterricht. Denn auch wenn wir der pauschalen Formel “In Halbgruppen wird nur halb so viel gelernt.” nicht folgen können, sind die verlorenen Unterrichtsstunden für die Bildung vieler Schüler*innen doch dramatisch. Wir glauben deswegen, dass auch im Halbgruppenunterricht die Devise verfolgt werden muss, für alle Schüler*innen Unterricht anzubieten, ob nun zu Hause oder in der Schule.
Einen stark prekären Zugang zu Bildung in der aktuellen Situation sehen wir vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen, wo Kinder häufig nicht über die notwendige Lernunterstützung verfügen, um ausgefallenen Unterricht oder Probleme des digitalen Unterrichts im eigenen Haushalt ausgleichen zu können. Auch die technischen Voraussetzungen (Ausstattung und Kenntnisse) sind nicht in allen Haushalten gleich und nicht alle Schüler*innen verfügen über einen Schreibtisch oder ein eigenes Zimmer zum Lernen. Gerade für sie hat ein längerer Ausfall des Präsenzunterricht fatale Folgen.
Wir lehnen deshalb die pauschale Forderung nach einer kompletten Schließung der Schulen in ganz Bremen ab! Wir fordern stattdessen, dass die Entscheidung über Maßnahmen der Fernlehre in die Schulen verlagert wird. Dafür soll die Senatorische Behörde für Bildung einen Maßnahmenkatalog erarbeiten, aus dem die Schulen nach Absprache mit der Behörde Maßnahmen umsetzen können. So können die unterschiedlichen Herausforderungen an den Schulen berücksichtigt werden. Bereiche, die nicht im Kern mit dem Unterricht zu tun haben, müssen möglichst ins Home-Office verlagert werden. Dafür müssen ggf. datenschutzrechtliche Regelungen angepasst und die technischen Voraussetzungen geschaffen werden.
Schüler*innen müssen bei den Entscheidungen besser eingebunden werden!
Innerhalb der Schulen sollten bei der Entscheidung über die Maßnahmen sowohl die Sichtweise der Schulleitung und des Kollegiums als auch die Wünsche der Schüler*innenschaft berücksichtigt werden. Deshalb sollten Schüler*innen innerhalb der Krise endlich als aktive Partner*innen begriffen werden! Viele verfügen bereits über enorme Vorkenntnisse über digitale Medien und sollten beispielsweise bei der Gestaltung der Fernlehre mehr mit einbezogen werden. Teilhabe und Verantwortungsübergabe würden dem aktuellen Ohnmachtsgefühl mehr Selbstwirksamkeit entgegenstellen.
Schüler*innen und Lehrkräfte müssen geschützt und vor allem unterstützt werden
Darüber hinaus müssen weitere Wege gefunden werden, die Gesundheit der Lehrkräfte und Schüler*innen im Unterricht zu schützen! Der Senat plant, an alle über 15-Jährigen kostenlos FFP2-Masken auszugeben: Wir fordern eine Ausweitung dieser Maßnahmen auf alle Schüler*innen im Land Bremen – in ausreichender Stückzahl. Weiterhin muss es jeder Lehrkraft und allen Schüler*innen möglich sein, sich regelmäßig auf Corona testen zu lassen – begleitet von Werbe- und Aufklärungsmaßnahmen, um die Inanspruchnahme zu verbessern.
Mit der erfolgreichen Verteilung von iPads an alle Lehrkräfte und Schüler*innen im Land Bremen hat das Bildungsressort einen großen Schritt hin zur Digitalisierung der Schulen gemacht! Das Lernen von Zuhause wurde so maßgeblich vereinfacht, trotzdem bleiben weitere Bildungsungerechtigkeiten bestehen. Um diesen zu begegnen und Schüler*innen, die trotz Präsenzangebot zu Hause bleiben wollen, zu unterstützen, fordern wir maßgeschneiderte Hilfsangebote für die Schüler*innen und ihre Familien. Denkbar ist hier das Bereitstellen eines Internetzugangs und Zuschüsse für ausgefallene Schulessen. Außerdem muss es für Schüler*innen, die z.B. keinen eigenen Schreibtisch haben, weitere finanzielle Hilfen zur Anschaffung geben.
Für manche Schüler*innen ist die Schule auch ein wichtiger Schutzraum vor häuslicher Gewalt und Vernachlässigung. Die Präsenz- und Schulpflicht ermöglicht es, Missstände schneller zu erkennen. Wenn Schüler*innen aktuell nicht oder selten zur Schule kommen, braucht es eine verstärkte Flankierung mit aufsuchender Sozialarbeit in Kooperation mit der vorhandenen Schulsozialarbeit und Einrichtungen der Jugendarbeit in den Quartieren, um mit den Kinder und Jugendlichen trotz Pandemie regelmäßig in Kontakt zu treten. Die dazu bereits jetzt stattfindenden Maßnahmen sind wichtig und sollten auf jeden Fall fortgeführt und weiter ausgebaut werden.
Wenn die Schule das Einzige ist, was eine klare und verlässliche Tagesstruktur vorgibt, ist es umso schwerwiegender, wenn sie wegfällt. Unterricht und unterstützende Angebote dürfen daher nicht nur asynchron sein, sondern müssen dem Alltag der Schüler*innen einen Rahmen geben. Unser Fokus darf jedoch nicht allein auf den Schulen liegen. Jugendliche, die ihren Schulabschluss außerhalb der Schule nachholen, sind ebenfalls von den Regelungen betroffen und kommen meist aus einem Umfeld, in dem zu Hause kein strukturiertes Arbeitsumfeld vorgegeben wird. Für sie und auch die Einrichtungen, in denen sie lernen, ist es wichtig, Sicherheit nicht nur vor Ansteckung, sondern auch vor den Folgen eines Lockdowns zu haben. Wenn wir diese Jugendlichen verlieren, wird es schwer sein, sie zurückzuholen.
Augenmaß bei den Abschlussprüfungen
Mit Blick auf anstehende Abschlussprüfungen ist es wichtig, einen ausgeglichenen Weg zu finden. Wir halten es für geboten, das krisenhafte letzte Jahr bei der Gestaltung der Regelungen für die Abschlussprüfungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig muss aber gewährleistet werden, dass die Schüler*innen ihre angestrebten Abschlüsse trotz Krise erreichen können. Die Abschlussprüfungen müssen deshalb stattfinden, der Lernaufwand aber reduziert werden, z.B. durch eine Aussetzung zentraler Aufgabenstellung und eine Reduzierung des prüfungsrelevanten Stoffes. Daneben müssen weiter Unterstützungsangebote geschaffen werden. Die Bildungsbehörde sollte in Absprache mit der Gesamtschüler*innenvertretung den Bedarf nach externen Lernorten (Hotelzimmer etc.) abfragen und passende Angebote schaffen.
Jetzt schon für die Zeit nach Corona planen!
Wir müssen jedoch auch weiterhin an die Zukunft denken und wirksame Methoden entwickeln, den nun entfallenden Unterricht zu kompensieren. Deshalb muss vor allem mittelfristig gut ausgebildetes Personal aufgestockt werden. Kurzfristig denkbar wäre, Lehramtsstudierende gezielt für die Stadtteilschulen anzuwerben und längere Beschäftigungen zu ermöglichen, um fertig ausgebildete Lehrkräfte bei der Fernlehre zu unterstützen.
Solange die Corona-Pandemie nicht vorbei ist, werden alle Maßnahmen nur unzureichend das Recht auf Bildung, die Entwicklung der Schüler*innen und den Infektionsschutz berücksichtigen können. Das Bildungsressort steht vor der schwierigen Aufgabe, hier richtig abzuwägen! Plakative Forderungen nach einer generellen Schließung der Schulen helfen hier nicht weiter und dienen in vielen Fällen eher zur Profilierung einzelner Parteien und Gruppen. Umso wichtiger ist es, diesen Äußerungen etwas entgegenzusetzen und auch in Pandemiezeiten eine Bildungspolitik für alle Schüler*innen im Land Bremen zu machen.