Es braucht eine soziale Lösung am Hauptbahnhof!

Dieser Antrag wurde im Landesvorstand am 15. November 2022 beschlossen.

Beschlusstext

Der Bremer Hauptbahnhof ist mehr als nur eine Infrastruktureinrichtung. Vielmehr ist es ein Ort, an dem sich verschiedene Welten begegnen: In der einen Welt wird der Bahnhof als Verkehrspunkt genutzt, um zur Arbeit, Ausbildung oder Universität zu kommen. In der anderen befindet sich dort das soziale Umfeld, die sozialen Dienste und ist die Bezugsquelle für Betäubungsmittel, welche Menschen aus unterschiedlichen Motiven konsumieren oder aufgrund von Suchterkrankungen konsumieren müssen. Jedoch verläuft dieses alltägliche Aufeinandertreffen der zwei unterschiedlichen Lebensrealitäten nicht immer friedlich ab. Speziell FINTA*-Personen geraten oft ins Visier, berauschter männlich gelesener Personen, welche sich, aufgrund der patriarchalen Hegemonie das Recht einräumen sich den Raum zu nehmen und FINTA*-Personen auszurauben, sexuell zu belästigen oder gar zu vergewaltigen.

Die negative Entwicklung des HBF-Umfeldes ist bereits länger zu beobachten, aber seit Corona befindet sich der Bahnhofsbereich in einem beschleunigten Umbruch. Menschen, die Crack konsumieren, beanspruchen immer mehr Raum, was auch unter anderem an dem Wirkungsspektrum der genutzten Substanz liegt. Die dadurch entstehende  Verdrängung trifft nicht nur andere prekäre Milieus (bspw. Trinker*innen oder Obdach- und Wohnungslose) hart, sondern trägt erheblich zum verstärkten Unwohlsein bei Reisenden, Pendler*innen und Anlieger*innen und zum verwahrlosten Gesamterscheinungsbild bei. Ein weiteres Problem des verstärkten Crackkonsums ist, dass die soziale Arbeit vor Ort erheblich gestört und zuweilen oft auch aus Sicherheitsgründen eingestellt werden muss. Dadurch sind viele Kontakte und Netzwerke zu hilfebedürftigen Menschen unterbrochen oder abgebrochen, was sich erheblich negativ auf ihre Gesundheit und perspektivisch auch auf deren Re-Integrationsperspektive auswirkt. 

In unserer jungsozialistischen Analyse kann Repression nicht die Lösung für ein derart komplexes gesellschaftliches Problem sein!

Wir Jusos wollen eine Gesellschaft, die allen Widrigkeiten zum Trotz auf Menschen zugeht und diesen mit Solidarität statt mit Verachtung begegnet. Die historisch-religiös motivierte Drogenprohibition ist gescheitert! Der Begriff “Droge” ist nur ein gesellschaftlich konstruierter Begriff, um deren Konsument*innen zu stigmatisieren und Repression ihnen gegenüber zu rechtfertigen. Wir sprechen uns für eine akzeptierende Drogenpolitik aus, welche anerkennt das Substanzkonsum ein Teil unserer Gesellschaft ist und die Politik deshalb die Aufgabe hat, den Konsument*innen einen (soweit möglich) nicht schädlichen Konsum zu ermöglichen. Dieser progressiven Drogenpolitik liegt ein breites Verständnis von Gesundheit und Krankheit zugrunde, welches akzeptiert, dass Gesundheit etwas Individuelles ist und dieser Umstand zu respektieren ist. Auf die Problematik am Hauptbahnhof bezogen bedeutet dies, dass es geschützte Räume geben muss, wo sämtliche Substanzen straffrei und im Sinne der Adressat*innen konsumiert und in geringen Maßen (sog. Ameisenhandel)  auch gehandelt werden können. Für die Überprüfung der Substanzen braucht es kostenloses und straffreies Drug-Checking. Dafür benötigt es jedoch Wissen über die einzelnen Gruppen und deren Konsumkultur. 

Der Senat muss handeln – nicht nur das Innenressort! 

Es ist offenkundig, dass am Hauptbahnhof dringender Handlungsbedarf besteht, denn die bisherige Arbeit des Senats reicht nicht aus. Grundsätzlich geht der Aktionsplan Hauptbahnhof zwar in die richtige Richtung, allerdings versagt der Senat bei der Umsetzung. Sozial- und Gesundheitsressort scheinen kein Interesse an der Lösung des Problems zu haben. Die Idee der, dem Wirtschaftsressort zugeordneten, Wirtschaftsförderung dort im Sommer ein temporäres Freibad zu errichten, macht die Debatte vollends lächerlich. Einzig der Innensenator geht seine Aufgaben an, allerdings bleiben ohne die flankierenden Sozialmaßnahmen nur Repressionen spürbar, was keine dauerhafte Lösung ist und sein kann. Neben den dadurch entstehenden Verdrängungseffekten sorgt die dauerhafte Polizeipräsenz auch nicht für mehr subjektive Sicherheit. Auch, wenn der Innensenator beteuert, dass der Bremer Hauptbahnhof und der Vorplatz zu den sichersten Orten in Deutschland gehöre, da dort über 50 Kameras installiert sind und sie 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr von Polizist*innen überwacht werden, besteht an diesen Orten kein subjektives Sicherheitsgefühl.

Wir fordern den Senat auf zu handeln! Konkret bedeutet das:

  • Der Aktionsplan Hauptbahnhof muss zügig umgesetzt werden. Das darin verankerte Nebeneinander von polizeilichen, sozialarbeiterischen und baulichen Maßnahmen darf nicht unter den Tisch fallen. Sozial- und Gesundheitsressort müssen ihren Aufgaben nachkommen – ihr Verstecken hinter dem Innenressort ist feige und schädlich.
  • Darüber hinausgehend fordern wir die Bildung multiprofessioneller Teams aus Akteur*innen der Sozialen Arbeit, Gesundheitswissenschaften, Kriminologie, Soziologie, Rechtswissenschaften und der Ordnungsbehörden sowie Beiräten aus Anwohner*innen, geschäftlichen Anlieger*innen und Vertreter*innen für Menschen in sozialen Notlagen, um eine Lösung im Sinne aller Gruppen am Hauptbahnhof partizipativ zu erarbeiten.
  • Es braucht sichere Räume und Toiletten in ausreichender Zahl und mit funktionierender Reinigung, insbesondere auch für FINTA*. 
  • Die Ansätze der Housing-First-Politik des Senats müssen fortgesetzt werden. Hierdurch erhalten diese Menschen die Chance auf Sicherheit und Integration, da sich persönliche Probleme schlechter bewältigen lassen, wenn jemand in einem ständigen Sicherheitsdefizit am Rande der Gesellschaft lebt.
  • Die räumlichen Verhältnisse müssen besser geordnet werden, zentrale Orte (Konsumräume, Tagescafes, Notunterkünfte und Methadon-Ausgabe) müssen auf ihre Wechselwirkungen überprüft werden, insbesondere in Rücksprache mit den Träger-Einrichtungen und Sozialarbeiter*innen vor Ort.
  • Die Wohnungslosenunterkunft unter dem Hauptbahnhof muss zumindest über die Zeit des Winters 2022/2023 wiedereröffnet werden. Danach soll dieser modernisiert und eine duale Nutzung als Wohnungslosenunterkunft und Zivilschutzbunker dienen.
  • Zur Bekämpfung des Müll- und Schädlingsproblems fordern wir mehr Müllbehälter rund um den Bahnhof. Insbesondere im Bereich des Nelson-Mandela-Parks müssen diese unbedingt tiersicher sein, so dass Vögel, Ratten und Waschbären diese nicht wieder “ausleeren” können. Die Reinigungszyklen im Umfeld des Hauptbahnhofs müssen bedarfsgerecht erhöht werden. Bei der Ausgabe von Lebensmitteln sollen Informationen bereitgestellt werden um auf das Schädlingsproblem aufmerksam zu machen. Für die Taubenpopulation sollten parallel zur Einrichtung der Taubenhäuser auch eine gezielte Bejagung durch Falkner*innen oder durch Ansiedlungshilfen für Greifvögel zur Bestandsreduktion gesetzt werden, sowie das Fütterungsverbot konsequent durchgesetzt werden.

Beschluss als PDF

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