Kriminell war nur die Polizei

“Aus dem nichts” ist ein handwerklich gutes Stück, aber an das Drehbuch und die Handlung müssen dringend ein paar Fragen gestellt werden. Eine Rezension zum neuesten Stück am Theater Bremen von Oliver Schmolinski.

Vielleicht war es doch seine kriminelle Vergangenheit? Diese Frage würde man sich als ZuschauerIn stellen, wenn man nicht den Bezugspunkt des Films „Aus dem nichts“ von Fatih Akin, der nun als Drama am Theater Bremen uraufgeführt wurde, kennen würde: Die Morde der NSU.

2017 hat der bekannte Regisseure den Film veröffentlicht. Die zentrale Figur ist Katja, im Film gespielt von Diane Kruger. Sie ist mit dem kurdisch-stämmigen Nuri verheiratet und hat mit ihm einen Sohn, Rocco. Im Laden ihres Mannes sterben Nuri und Rocco aufgrund eines Anschlages durch eine Nagelbombe. Im Zentrum der Ermittlungen der Polizei befindet sich schnell Katjas Mann selbst. Er war einige Zeit im Gefängnis, ist Kurde und betreibt ein Geschäft in dem er u.a. bei Steuererklärungen hilft, übersetzt und Reisen in die Türkei anbietet. Aus dieser Gemengelage entwickelt die Polizei immer wieder neue Theorien, die Nuri in eine kriminelle Verbindung bringen. Katja hingegen hatte vor dem Anschlag eine Frau gesehen, die vor dem Geschäft ein Fahrrad abgestellt hat. Sie kann diese Frau beschreiben. Im Laufe der Ermittlungen werden diese Frau und ihr Ehemann verhaftet. Beide sind Neonazis. Aufbauend auf der Aussage von Katja erfolgt der Prozess. Jedoch wurden bei Katja Drogen gefunden, welche sie nach dem Anschlag gekauft hat, um die Schmerzen zu ertragen. Dieser Fund ermöglicht es der Verteidigung Katja als unglaubwürdig darzustellen. Die beiden Nazis werden freigesprochen. Das Urteilt schmerzt Katja so stark, dass sie zum Mittel der Selbstjustiz greift. An einem Strand, an dem die TäterInnen liegen und sich sonnen, bringt Katja die beiden und sich mit einer Nagelbombe um. Sie sterben auf dieselbe Weise wie ihr Mann und ihr Sohn.

Der Nagelbombenanschlag erinnert stark an den Anschlag der NSU in der Keupstraße in Köln. Auch hier wurde ein Fahrrad mit einer Bombe in der Straße abgestellt. Glücklicherweise verlor bei dem Anschlag kein Mensch sein Leben, aber 22 Menschen wurden zum Teil stark verletzt. Nach dem Anschlag wurde eine Verbindung zum Drogenmilieu oder auch zur PKK als wahrscheinlich angenommen. Das dieser Anschlag sowie Morde an neun Personen mit türkischen und griechischen Wurzeln durch eine neonazistisches Trio und sein Unterstützungsnetzwerk verübt wurde, kam erst durch die Selbstenttarnung des NSU ans Licht.

Dieses brisante Thema griff der Film von Akin beeindruckend auf. Auch in der Kritik gab es viel Zustimmung für den Film, so gewann das Drama im letzten Jahr den Golden Globe als bester fremdsprachiger Film.

Dass das Theater Bremen diesen Stoff aufgreift ist folgerichtig. So Positioniert sich das Theater als Unterzeichnerin der „Bremer Erklärung der Vielen“ deutlich gegen rechte und undemokratische Bestrebungen. Haus-Autor Armin Petras hat die Filmvorlage genutzt und ein komplexes Drama geschrieben. Dabei werden die vielfältigen Rollen von fünf verschiedenen SchauspielerInnen übernommen. Das gesamte Ensemble weiß dabei zu überzeugen. Vor allem Nadine Geyersbach kann als Katja überzeugen, ihre Verzweiflung, ihre Trauer und ihre Irritation über den Rechtsstaat, der ihren Mann zu Unrecht verdächtigt, lässt sie die Zuschauer die gesamte Zeit spüren. Das Stück wird im kleinen Haus auf einer reduzierten Bühne gezeigt. Diese Reduktion lässt die gezielt gesetzten dramaturgischen Elemente umso stärker wirken. Am stärksten bleibt den Zuschauenden sicherlich eine Szenen in Erinnerung, in der die SchauspielerInnen gut 10 Minuten lang hunderte Blätter schreddern, auf denen unter anderem die Namen der NSU-Täter, Vorwürfe der Polizei, Ermittlungsakten oder die Anzahl von rechtsradikalen Taten zu lesen sind. In dieser Szene wird den ZuschauerInnen Zeit gegeben, über das Versagen der diversen Länderpolizeien und Landesämter für Verfassungsschutz nachzudenken und zu reflektieren.

„Aus dem nichts“ sorgt also für einen gelungen Theaterabend mit politischer Kritik und Auseinandersetzung, könnte man meinen. Nur steht eine Frage im Raum, die grundlegend an Akins Drehbuch geht, aber damit auch an den Text von Petras: Warum muss Nuri eine kriminelle Vergangenheit haben?

Kein Opfer der NSU saß vorher im Gefängnis. Die Polizei hatte damals diese Theorien entwickelt, ohne die Existenz relevanter krimineller Vorgeschichten der Opfer.

Kein Opfer der NSU saß vorher im Gefängnis. Nuri jedoch, welcher nun mal ein Opfer einer Nazibande ist, die bewusst an die NSU erinnern soll, saß hingegen längere Zeit im Gefängnis. Erst nach dem Absitzen seiner Strafe, ist er ein „rechtschaffener“ Bürger geworden. Aus dramaturgischer Sicht ist diese Zeichnung der Figur nachvollziehbar. Die Vergangenheit der Opfers bietet einen guten Anschluss für all die Theorien der Polizei (Kurde, Dealer…). Gleichzeitig macht dieser Ansatz viel kaputt. Die Polizei hatte damals diese Theorien entwickelt, ohne die Existenz relevanter krimineller Vorgeschichten der Opfer. Vielmehr wirkten rassistische Vorurteile gegenüber den Opfern und den oft migrantisch geprägten Stadtteilen, in denen die Anschläge erfolgten. Ohne konkrete Hinweise wurden Sonderkommissionen nach dem Bosporus benannt und offensichtliche Hinweise, die nicht zur Theorie eines kriminellen Netzwerkes von AusländerInnen passte, ignoriert. Durch die kriminelle Vergangenheit von Nuri, wird dieses rassistische Verhalten der Polizei zwar nicht legitimiert, es kann aber als eine Richtung der Ermittlungen nachvollzogen werden. Die Ermittlungen wirken zwar überzogen, aber legitim. Das ist eine Wirkung, die bei den gewollten Parallelen zur NSU nicht wünschenswert ist.

Ein zweiter Punkt des Buchs von Akin und somit von Petras ist schwierig. Die Polizei hat im Film und im Stück schlussendlich nicht versagt. Sie hat die Täter gefasst. Vielmehr versagt der Rechtsstaat, in dem er die beiden Nazis freispricht. Anhand dieses Versagens legitimiert Katja ihren Akt der Selbstjustiz. Bei den bewussten Parallelen zum NSU-Mord ist diese Erzählung der Geschichte schwierig. Die Justiz hat in einem sehr aufwendigen Prozess gegen Beate Zschäpe die Taten sehr genau aufgearbeitet und die Täterschaft von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe festgestellt und bei Zschäpe auch entsprechend bestraft. Das Versagen lag somit nicht bei der Justiz, sondern bei der Exekutive, bei der Polizei und dem Verfassungsschutz. Diese Verdrehung der Schuld obliegt der künstlerischen Freiheit. Richtig ist sie dadurch nicht. Es wäre gut gewesen, deutlich zu machen, dass die Ermittlungen rassistisch, zermürbend und langwierig waren. Stattdessen wird der Rechtsstaat kritisiert und Selbstjustiz legitimiert. Anstatt auf ein Justizdrama zusetzen hätte sich Akin stärker den fehlerhaften Ermittlungen zuwenden sollen.

Das Petras diese beiden Kritikpunkte relativ unkritisch für das Stück am Theater Bremen übernommen hat ist schade und trübt den handwerklich sonst sehr gelungen Theaterabend. Doch Theater ist auch ein sich abarbeiten an der Gegenwart und Kunst. Künstlerische Freiheit bedeutet nicht, sich immer an der genauen Abfolge von Geschehenen zu orientieren. Es lohnt sich jedoch zu diskutieren, ob gerade an diesen Zwei Punkten die Wirklichkeit nicht klarer das Versagen aufzeigt, als dies im Drama „Aus dem nichts“ erfolgt.

Aus dem nichts
Theater Bremen 2019

Alter: 14+;
Dauer: ca. 90 Minuten
Regie: Nurkan Erpulat
Bühne: Elena Melissa Stranghöner
Kostüme: Pieter Bax
Musik: Michael Haves
Dramaturgie: Sabrina Bohl
Mit: Martin Baum, Fabian Eyer, Nadine Geyersbach, Judith Goldberg, Irene Kleinschmidt, Julian Anatol Schneider

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