Dieses Antrag wurde auf der Landesmitgliederversammlung der Jusos Land Bremen am 16. September 2023 beschlossen.
Beschlusstext
In der Geschichte Nachkriegsdeutschland ist die AfD nicht die erste Partei, die sich rechts der CDU etablieren wollte, jedoch ist sie die erste Partei, die dies tatsächlich geschafft haben könnte. Der ohnehin nicht allumfassende, aber doch dominierende antifaschistische Grundkonsens der Nachkriegszeit scheint momentan in Auflösung begriffen und die von allen Seiten immer wieder beschworene “Brandmauer gegen Rechts” bröckelt. Bereits jetzt gibt es lokale Kooperationen von CDU und AfD und unvergessen bleibt der Tabubruch von Thomas Kemmerich, der sich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Mit der fortschreitenden Normalisierung und Wahlerfolgen der AfD werden bürgerliche Parteien schon bald weitere Bündnisse mit faschistischen Parteien eingehen. Im Kampf gegen rechts sind CDU und FDP keine verlässlichen Partner, vielmehr verhindern sie durch das Propagieren der Hufeisentheorie breite antifaschistische Bündnisse. Die Lage ist also ernst: Rechtsextremismus und Faschismus stellen wieder eine schwerwiegende Gefahr für unsere Demokratie und Gesellschaft dar.
Dabei beschränkt sich das Geschehen nicht nur auf die Parlamente, auch im vorpolitischen Raum agieren Rechtsextreme sehr erfolgreich. Rechte Propaganda wird insbesondere im Netz verbreitet und liberale bzw. linke Kräfte haben die Diskurshoheit längst verloren. Gerade weil die AfD es schafft, das politische Klima insgesamt zu prägen, ist sie auch in der Opposition erfolgreich. Andere Parteien übernehmen sowohl Rhetorik als auch Inhalte der AfD. Leider lässt sich auch die SPD – vor allem in der Innenpolitik – immer wieder auf rechte Framings ein. Der Rechtsruck politischer Diskurse und Narrative wird so noch weiter befeuert. Währenddessen laufen gerade in strukturschwachen Gegenden zivilgesellschaftliche Strukturen, aber auch politische Institutionen, Gefahr, von rechtsextremen Akteur:innen durchsetzt zu werden. Exemplarisch dafür ist die völkische Landnahme, die z.B. in der Lüneburger Heide stattfindet.
Obwohl das Gewaltpotential rechter Ideologien steigt, reagieren unsere Sicherheitsinstitutionen nicht adäquat auf die Gefahr von rechts. Entweder weil sie die Augen vor rechtsextremen Strukturen verschließen oder weil sie selbst größere Probleme mit rechten Netzwerken in ihren Reihen haben. Währenddessen nehmen Rechtsterrorismus und Angriffe auf Flüchtlingsheime immer weiter zu – vielfach sind es Einzeltäter, die sich im Netz radikalisiert haben. In Anbetracht dessen, dass ein nicht sonderlich kleiner Teil Rechtsextremer legalen Zugang zu Schusswaffen besitzt, ist dies besonders besorgniserregend. Die rassistischen Morde in Hanau und weitere rechte Anschläge zeigen, welche Gefahren sich hinter dem zu liberalen deutschen Waffenrecht verbergen.
Faschismus fällt nicht vom Himmel
Der Vormarsch rechtsextremer und faschistischer Organisationen kommt nicht aus dem Nichts, sondern wurde seit längerem forciert. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Neuformation rechtsextremer Kräfte, die sich daran machten, ihre rechte Ideologie auf ein neues Fundament zu stellen. Machtlos im parlamentarischen Raum war ihr Ziel, kulturelle Hegemonie im vorpolitischen Raum zu erlangen und die Frage, was noch als konservativ und gesellschaftsfähig durchgeht, in ihrem Sinne zu beantworten. Die AfD beförderte diese Art von Metapolitik schließlich erfolgreich in die Parlamente hinein.
Diese Neuformierung von rechtsextremen und faschistischem Gedankengut in der Nachkriegszeit war notwendig für den heutigen Erfolg der AfD, erklärt ihn jedoch nicht vollständig. Auch der Verlust der Mobilisierungsfähigkeit linker Parteien für ihre ursprüngliche Wähler:innenschaft muss berücksichtigt werden. Seit Ende des 20. Jahrhundert sind Arbeiter:innen als Klasse aus dem Jargon linker Parteien weitgehend verschwunden und damit auch ihre klassenspezifischen Lebensrealitäten, Hoffnungen und Wünsche aus dem Mainstreamdiskurs. Der Klassenwiderspruch musste neutralisierenden Phrasen von Eigenverantwortung und Gemeinwohl Platz machen. Begleitet wurde dies durch einen Sozialabbau, der zum Teil von linken Parteien vorangetrieben wurde. Doch nur weil die Arbeiterklasse sprachlich aus der Politik getilgt wurde, heißt dies noch nicht, dass die Menschen, die früher mit diesem Wort beschrieben wurden, verschwunden sind. Vielmehr kam es zu einer Neuformierung dieser Gruppe: Parteien, wie die AfD, präsentierten sich als einzige, die sich noch um die Interessen der “einfachen Leute” zu kümmern schienen – jetzt jedoch verbunden mit einer ethnischen und nicht einer objektiven materiellen Grundlage. Rechte Ideologien fielen auf den fruchtbaren Boden eines innerhalb der Mehrheitsgesellschaft vorhandenen latenten Rassismus und wurden dankbar aufgegriffen.
Nicht zuletzt die Zuwanderung Geflüchteter, die in den letzten Jahren zugenommen hat, vor allem seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015, hat enorm zur Befeuerung und Propagierung rechter Ideologien im öffentlichen Diskurs beigetragen. Vor dem neuen Feindbild der Geflüchteten und den vermeintlichen Gefahren, die spezifisch von dieser Gruppe ausgehen würden, wird von Rechten – egal ob auf der Straße oder in den Parlamenten – gewarnt und Geflüchtete, womit meistens BPoCs gemeint sind, zum neuen Feindbild erklärt. Die politische Linke hat es versäumt, in den letzten Jahren eine adäquate Antwort auf den gesteigerten Migrations- und Fluchtdruck zu formulieren. Umso mehr lässt man sich nun von rechtsextremen Diskursen treiben, die dem Staat Kontrollverlust und Handlungsunfähigkeit unterstellen und damit erfolgreich an Ressentiments in der Bevölkerung andocken.
Unser Antifaschismus muss mehr sein
Um dem umfassenden Rechtsruck und der Normalisierung von rechtsextremen Gedankengut etwas entgegenzusetzen, müssen wir aus der Defensive wieder in die Offensive kommen. Antifaschismus muss sich als aktive politische und soziale Kraft positionieren und mehr sein als die Organisation von Wahlbündnissen gegen die AfD oder andere rechte Parteien. Der Erfolg der AfD ist nicht zuletzt auch ein Resultat der Aushöhlung unserer Demokratie durch den Kapitalismus. Antifaschismus darf deswegen nicht nur den Status Quo verteidigen, sondern sollte die Vision einer sozialen und freiheitlichen Gesellschaft für alle eröffnen. Die in breiten Teilen der Bevölkerung verankerten rassistischen und autoritären Denkmuster können wir so vielleicht nicht vollständig beseitigen, aber zumindest deutlich abschwächen. Faschistische Ideologien dürfen nirgends hingenommen werden. Dementsprechend dürfen wir Regionen oder Teile der Bevölkerung nicht einfach aufgeben, sondern müssen gerade dort, wo antifaschistische Arbeit mit erheblichen Gefahren und Restriktionen verbunden ist, Aktivist:innen in ihrer Arbeit unterstützen.
Antifaschistische Arbeit braucht ein konsequentes zivilgesellschaftliches, politisches und rechtliches Vorgehen gegen Rechtsextremismus, wo immer dies möglich ist. Moralische Appelle, die Spielregeln, Gepflogenheiten und Grenzen unseres politischen Systems zu akzeptieren, sind hingegen der falsche Weg. Im Gegenteil führen sie eher dazu, dass Ressentiments bei Anhänger:innen dieser Parteien eher noch verstärkt werden. Kein Fußbreit dem Faschismus, das bedeutet:
- Ob Pegida, Bündnis Deutschland, AfD oder andere Gruppierungen: Rechtsextremismus und rechte Verschwörungstheorien müssen als solche klar benannt und nicht weiter verharmlost werden. Verschleiernde Eigenbezeichnungen wie “besorgte Bürger” oder “national-konservativ” dürfen nicht weiter reproduziert werden.
- Rechtsextremen darf keinerlei Plattform geboten werden. Es muss jede Möglichkeit genutzt werden, ihnen diese zu entziehen oder zu verwehren. Dies schließt den Dialog in situationsadäquater Form jedoch nicht aus.
- Es gilt, alle rechtlichen Maßnahmen auszuschöpfen, um rechtsextreme Parteien und insbesondere die AfD zu schwächen. Dies schließt ein, die Finanzierung dieser Parteien und ihrer Stiftungen einzuschränken, sowie diese vom Sicherheitsbehörden beobachten zu lassen. Ein Verbotsverfahren der AfD und ihrer Jugendorganisation muss ernsthaft geprüft werden.
- Bei der Verteilung finanzieller Mittel muss auf kommunaler, Landes- und Bundesebene sichergestellt werden, dass das Geld nicht rechtsextremen Strukturen zugutekommt.
- Zivilgesellschaft und Antifaschist:innen vor Ort müssen durch uns gestärkt werden. Die SPD und wir Jusos müssen uns nach Möglichkeiten in (lokalen) Bündnissen gegen Rechts einbringen und durch Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen Präsenz zeigen. Für Genoss:innen, die von rechten Einschüchterungsversuchen oder sogar Gewalt betroffen sind, müssen wir Unterstützungsstrukturen auch innerhalb der SPD etablieren.
- Staatliche und rechtliche Möglichkeiten müssen voll ausgeschöpft oder wenn nötig ausgeweitet werden. Dazu gehört zuallererst die konsequente Strafverfolgung von rechten Straftäter:innen, die Zerschlagung rechter Strukturen in den Sicherheitsbehörden und das Entfernen von Rechtsextremen aus dem Staatsdienst. Des Weiteren muss das Waffenrecht reformiert und deutlich verschärft werden.
- Nicht nur die Politik muss handeln, auch zivilgesellschaftliche Akteur:innen stehen in der Pflicht, rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen ernst zu nehmen und zu handeln, bevor es zu spät ist. Das gilt für Sportvereine, wie auch für Bürgerinitiativen.
Zu einer klaren Kante gegen Rechts gehört auch, dass wir klar und überzeugend für unsere eigenen Grundwerte einstehen und uns nicht weiter von rechts treiben lassen. Das bedeutet:
- Dass sich jegliche Zusammenarbeit mit der AfD oder anderen rechtsextremen Parteien in Kommunen oder auf Landes- und Bundesebene verbietet, ist selbstverständlich. Es darf aber auch keine Anpassung an die rechtsextreme Agenda und Rhetorik aus der Angst heraus, Wählerstimmen zu verlieren, geben. Das gilt insbesondere in der Innenpolitik.
- Wir verfolgen eine Politik, die den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital wieder mehr in den Mittelpunkt rückt und dabei die wirtschaftsliberalen Forderungen der AfD stärker problematisiert. Unter Berücksichtigung individueller Lebensrealitäten machen wir eine Politik im Interesse aller Arbeiter:innen und Arbeitnehmer:innen. Wir stellen die (sozialen) Rechte und Bedürfnisse der Einzelnen in den Mittelpunkt und positionieren uns gleichzeitig gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung.
- Der gegenwärtigen menschenfeindlichen Migrationspolitik und der damit verbundene Hetze gegen Geflüchtete gilt es etwas entgegenzusetzen, was sowohl rassistischen Narrativen widerspricht als auch einen praxistauglichen und ehrlichen Umgang mit Migration und Flucht ermöglicht.
- Prävention ist wirksamer als Reaktion. Demokratie und Toleranz, antifaschistische und antirassistische Grundbildung müssen deswegen von Anfang an in unserem Bildungssystem verankert werden. Gerade die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung spielen hier eine hervorgehobene Rolle, für sie und die politische Bildung insgesamt braucht es mehr und nicht weniger Ressourcen für politische Bildung.
- Die Zivilgesellschaft muss stärker darin geschult werden, rechtsextremes Gedankengut zu erkennen. Vereine und Institutionen, die ebenfalls zivilgesellschaftlich organisiert sind, müssen bei der Durchführung von Antirassismus-, Antisemitismus-, und Demokratie-Workshops gefördert werden.
- Wenn wir unsere Demokratie verteidigen wollen, müssen wir sie auch ernst nehmen. Gerade für Menschen, die momentan von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind, müssen wir niedrigschwellige Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten schaffen – auch um diesen Menschen das Gefühl von Machtlosigkeit zu nehmen. Dies gilt besonders für junge Menschen.